Erschienen unter dem Titel „Alles nur Blaumacher“ in: ManagerSeminare, Heft 28, III. Quartal 1997
In Verbindung mit der Diskussion um den Standort Deutschland und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen hat das Thema Fehlzeiten wieder an Bedeutung gewonnen. Denn Kranktage und andere Fehlzeiten kosten die deutsche Wirtschaft bekanntlich jährlich mehrere Milliarden.
Politik, Unternehmen (und hier vorwiegend Unternehmensspitze und Personalabteilung), Krankenkassen, Verbände, Arbeitswissenschaftler, (Fach-) Presse und nicht zuletzt Unternehmensberater liefern interessante Diskussionsstandpunkte und Lösungsansätze zur Reduzierung der Fehlzeiten.
Ein Instrument wird dabei besonders betont und immer wieder herausgestellt: Das Rückkehrgespräch.
Ein Großteil der Diskussionen hebt dieses Hilfsmittel sogar als das entscheidende Instrument hervor, mit dem die Fehlzeiten in Griff zu bekommen sind. In den Medien wird häufig berichtet, dass Firmen wie z.B.
Opel, Hoechst und VW versuchen, mit der Institutionalisierung von Rückkehrgesprächen die Fehlzeitenrate um einige Punkte herunterzudrücken.
Glauben wir den Statistiken, dass deutsche Arbeitnehmer ca. 20 (bei Beamten über 30) Tage im Jahr (gerne?) krankfeiern oder krank seien, stellt sich die Frage nach den Ursachen u.a. wie folgt:
Die gesamte Diskussion um die Fehlzeiten nimmt m.E. keine Differenzierung zwischen einzelnen Fällen vor und alle Beteiligten werden mit der gleichen Wertigkeit behandelt: Die „Blaumacher“ und die „wirklich Kranken“. Das ist gefährlich und wenig konstruktiv.
Die derzeitige Diskussion um Fehlzeiten vernachlässigt die wirklichen, bzw. "echten" Kranken. Diese fühlen sich missverstanden, missinterpretiert und als "Betrüger" hingestellt. Das wollen wir doch nicht! Diese Zielgruppe muss innerhalb der Diskussion um Fehlzeiten geschützt werden.
Für einen Mitarbeiter, der ernsthaft krank ist, auf dem Weg zum Arbeitsplatz einen Unfall erlitten hat oder auch durch schlechte Arbeitsplatzbedingungen krank wurde, ist es befremdlich, nicht "Opfer“ zu sein, sondern sich als "Täter" oder „Betrüger“ fühlen zu müssen. Neben rationalen sollten daher auch moralische und ethische Aspekte in der Diskussion Beachtung finden.
Kommt z.B. ein Patient mit Bauchschmerzen zum Arzt, schreibt dieser seinem Patienten i.d.R. erst nach sorgfältiger Diagnose entsprechende schmerzstillende Medikamente auf.
Wie würde der Patient andernfalls reagieren? Wie sähen die Folgen aus, würde sich hinter seinen Schmerzen eine ernsthafte Krankheit verbergen?
Werden in diesem Sinne Rückkehrgespräche als "Heilmittel" verordnet, ohne den Zustand, der zu der aktuellen Fehlzeit führte, genau zu diagnostizieren, würden eben nur schmerzstillende temporäre Hilfsmittel verabreicht! Die Situation des Patienten bzw. die Situation seiner Umgebung, die es wahrscheinlich zu verändern gilt, wird nur als Randerscheinung behandelt. Ob die Kernursache des Fehlens eine "echte" oder „betriebsbedingte“ Krankheit darstellt, bleibt häufig unerkannt.
Zwar ist ein vorläufiger Rückgang der Fehlzeitenrate infolge der Rückkehrgespräche möglich, vermutlich jedoch (nur) auf Grund von Ängsten und Gefühlen der Bedrohung. Die innere Einstellung des Mitarbeiters, die ihn u.U. zum "Blaumachen" bewogen hat, ändert sich dadurch nicht. Beim
nächsten Mal greift er aus „Rache“ wieder zum selben Mittel.
In diesem Sinne gilt für mich im Umgang mit Fehlzeiten im Betrieb zunächst die "zwingende" Aufforderung, die eigentlichen Hintergründe zu erfahren, die zu Fehlzeiten geführt haben. Eine systematische und genaue Ursachenanalyse ist hier durchzuführen: Bei wem, wann, wo, bei welchem
Vorgesetzten, unter welchen innerbetrieblichen oder abteilungsinternen Voraussetzungen/Gegebenheiten und in welchem Ausmaß werden Fehlzeiten registriert?
Dieser Akt muss sich auch auf Statistiken und Erfassungen der Personal- und der jeweiligen Fachabteilung stützen und als einheitlicher Prozess mit den betroffenen Führungskräften durchgeführt werden.
Der bewährte Vor- bzw. Ansatz aus der Organisationsentwicklung und dem Qualitätsmanagement, Betroffene zu Beteiligten zu machen, kann im Falle der Fehlzeitenproblematik beste Voraussetzungen für eine gute und dauerhafte Bewältigung des Fehlzeitenproblems liefern.
Die betroffenen Gruppen müssen (unter fremder Moderation) das Problem unter sich behandeln. Die aktuelle und unbefriedigende Situation muss mit ihren Konsequenzen für alle Beteiligten durchleuchtet werden; die eigentlichen direkten und indirekten Ursachen sind zu identifizieren und zu analysieren.
Darauf aufbauend sind geeignete Maßnahmen, deren Umsetzung von Organen der Gruppe zu kontrollieren sind, gemeinsam zu verabschieden und einzuleiten.
Zielgruppe für einen solchen Workshop können auch betroffene Vorgesetzte (Meister, Vorarbeiter, Gruppenleiter, etc.) sein. Bei dieser Gelegenheit werden die Teilnehmer einzelne Ursachen identifizieren, Lösungsalternativen mit Maßnahmenplänen erarbeiten und jeweils entsprechende Kontrollmechanismen vereinbaren.
Bei dieser Zielgruppe hängt es in großem Maße vom Moderator und seinem Fingerspitzengefühl ab, mit den Teilnehmern die eigentlichen Ursachen der Fehlzeiten herauszufinden.
Ein solcher Prozess ist in hohem Maße anstrengend und (zeit-) aufwendig. Ängste liegen auch darin, dass die Teilnehmer eines (z.B. dreitägigen) Workshops "unentbehrlich" sind und die Teilnahme selbst kostspielig ist (Abwesenheit von der Arbeit für die Dauer des Workshops, Kosten für
Übernachtung, Verpflegung, Trainer,.. etc.).
Ebenso wird häufig der Nutzen in Frage gestellt (Killerphrase!), obwohl der erwartete Nutzen aus dem Workshop zur Reduzierung von Fehlzeiten und Krankenständen i.d.R. jedoch sicher ist.
Abgesehen davon kann das Beisammensein der Teilnehmer für die Dauer des Workshops, jedoch auf engstem Raum (wenn die Veranstaltung an einem Tagungsort außerhalb der Arbeitsstätte stattfindet) zur Verbesserung der Kommunikation und zum Austausch von Erfahrungen dienen.
In diesem Kontext heißt die Kernfrage bei Überlegungen zu Veranstaltungen bezüglich des Themas Fehlzeiten: Was wollen wir wirklich?
Solche Fragen sind offen und von der Unternehmensspitze ehrlich und authentisch zu beantworten. Denn sie ist gefragt, zum Ebnen anstehender Lösungen einen wesentlichen Teil zu leisten.
Die von Fehlzeiten betroffenen und am Entwicklungsprozess im Umgang mit Fehlzeiten beteiligten Führungskräfte haben im Rahmen geeigneter Workshops die wirklichen Ursachen der Fehlzeiten möglichst weitgehend herauszufinden, sowie geeignete Maßnahmen zu erarbeiten und zu entwickeln.
Diese Zielgruppe braucht für ihre Maßnahmen die volle und ernsthafte, sowie dauerhafte und aufrichtige Unterstützung der Personalabteilung bzw. der Geschäftsführung. Es kann ja durchaus sein, dass der Workshop Anregungen und Vorschläge erarbeitet, die neue Investitionen oder teilweise eine Reorganisation innerhalb des Unternehmens bedeuten: neue Abläufe, neue Verantwortungsbereiche in Verbindung mit Veränderungen in der Aufbaustruktur und damit verbundene Einführung von Team- oder Gruppenarbeit, an Geschäftsprozessen orientierte Reorganisation, Einführung organisatorischer Maßnahmen innerhalb bestimmter Gruppen/Abteilungen, wie z.B. durch flexible Arbeitszeiten, Umgruppierungen etc.
Die Glaubwürdigkeit der mit dem Workshop verfolgten Ziele und erzielten Ergebnisse kann bei fehlender Unterstützung durch die Geschäftsleitung zerfallen. Der Unternehmensleitung ist zu empfehlen, sich zu möglichen Veränderungen zu bekennen und den Beteiligten geeignete Signale zu senden. Dies setzt natürlich voraus, dass Erfolge und Steigerung der Effektivität bzw. der Produktivität mit anstehenden Maßnahmen verbunden und zu erwarten sind. Hier zählen kongruentes Vorleben und erzielte Fakten
auch in Form umgesetzter Vereinbarungen mit der Geschäftsführung bzw. deren Versicherung, bei der Umsetzung notwendige finanzielle und u.U. organisatorische Hilfsmittel bereitzustellen.
Die Moderation solcher Workshops muss so souverän sein, dass alle Beteiligten nicht nur zu guten Ergebnissen kommen, sondern mit dem, was sie erzielt haben, auch zufrieden sind und sich verpflichten, vereinbarte Ergebnisse und Abhilfemaßnahmen auch umzusetzen.
Ein externer Moderator ist aus Neutralität zu empfehlen. Als absolute Notwendigkeit ist die Vereinbarung und Durchführung von Folgeterminen zur Überprüfung der umgesetzten Vorhaben einzuplanen und auch zu gewährleisten.
Das Rückkehrgespräch klärt sicher einiges und führt auch zu einer (wahrscheinlich mehr über Ängste und Drohungen als Überzeugung) Reduzierung von Fehlzeiten.
Ein Rückkehrgespräch "motiviert" i.d.R. den jeweiligen Mitarbeiter, nachzudenken, und mit seiner Planung für Fehlzeiten vorsichtiger zu handeln. Daher sehe ich in diesem Ansatz nicht das angestrebte (Voll-)Heilmittel. Wichtigster Ansatzpunkt ist m.E., dass jeder Mitarbeiter seine Arbeit als wertvollen, produktiven und wichtigen eigenen Beitrag betrachtet, mit dem er dem Unternehmen zur Spitzenleistung verhilft. Hinter einem solchen Anspruch und Verhalten steht die Selbstmotivation, die stärker ist, als die über den Vorgesetzten oder über die Personalabteilung erfolgte Fremd- oder Außenmotivation.
Um eine autonome Selbstmotivation der Mitarbeiter im Betrieb zu ermöglichen, brauchen wir zum einen modern denkende und handelnde Führungskräfte, die stets das partnerschaftliche Führen aus innerer Überzeugung (vor-)leben; zum anderen müssen wir bei unseren Mitarbeitern eine feste Überzeugung (Wertesystem) und eine innere Einstellung erwirken, die eine vollständige Identifikation des Mitarbeiters mit dem Unternehmen (Klärung der Fragen Identität und Zugehörigkeit) zum
Gegenstand hat.
Eine solche Einstellung bringt der Mitarbeiter möglicherweise grundsätzlich mit; sie kann aber durch einen nicht-partnerschaftlichen Umgang, z.B. durch eine Unterdrückung des Mitarbeiters, gestört werden und zu Fehlentwicklungen der inneren Einstellung dieses Mitarbeiters führen. Dass als Ergebnis hohe Fehlzeiten zu verzeichnen sind, ist dann nicht mehr besonders verwunderlich.
Eine berechtigte Frage ist in diesem Zusammenhang zu stellen:
Geht der Vorgesetzte grundsätzlich davon aus, dass Mitarbeiter blaumachen und krankfeiern, sich "auf Kosten der Firma" zusätzliche Freizeit für persönliche Erledigungen und Nebenverdienste verschaffen und in solchem Verhalten dem Unternehmen (vorsätzlich) Schaden zufügen (wollen), sendet er dem Mitarbeiter -auf bewusster und unbewusster Ebene- entsprechende Misstrauenssignale. Solche Signale haben schwerwiegende Konsequenzen auf die Leistungserbringung des Mitarbeiters. Dieser wird wahrscheinlich häufig fehlen; signalisiert wird eine kleine Portion Macht im innerbetrieblichen Beziehungs- und Gleichgewichtsspiel "Macht und Abhängigkeit".
Eine, im Sinne des Unternehmens konstruktive innere Einstellung des Mitarbeiters, mit einem starken Identifikationsgrad, wird bei diesem Mitarbeiter über ein Rückkehrgespräch schwer erreichbar sein. Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen.
Eine andere Entwicklung kann sich abzeichnen, wenn der Vorgesetzte grundsätzlich von der Annahme ausgeht, dass Führungsverhalten und Umfeld zur Verstärkung bzw. zur Reduzierung von Produktivität aber auch von "Blaumacherei" beitragen.
Hier stellt er zunächst sich selbst, seinen Umgang mit dem Mitarbeiter, die Umsetzung seiner Führungspflicht, dem Mitarbeiter bestmögliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Erfüllung anstehender/delegierter Aufgaben bereitzustellen, in den Vordergrund.
Der Meister/Gruppenleiter ist in diesem Fall in der Lage, sein Führungs- und Kommunikationsverhalten, und somit seinen Umgang mit den jeweiligen Mitarbeitern (soziale Kompetenz), im Sinne einer partnerschaftlichen Führung zu gestalten. Er überlässt seinen Mitarbeitern dabei benötigte Freiräume für eigenverantwortliches Handeln und sendet an sein Umfeld klare und ernsthafte, vorbildliche Signale, dass er seine Führungsaufgaben ernst nimmt, und seine Fürsorge nicht nur den Leistungsergebnissen, sondern auch seinen Mitarbeitern gilt.
In der Gruppe/Abteilung eines solchen Vorgesetzten wird die Fehlzeitenrate sicherlich ein Minimum darstellen. Hier bildet er mit seinen Mitarbeitern eine geschlossene Gemeinschaft, die ein starkes Wir-Gefühl bindet und teamorientiert erfolgreich anstehende Aufgaben bewältigt. Die Gruppe verfolgt gemeinsame Ziele zum Wohle des Unternehmens und des Einzelnen; und gerade hier werden den Fehlzeiten keine Schlupflöcher geboten.
Moderne, partnerschaftliche, auf Teamarbeit basierende Führung, in der Mitarbeiter ihren Stellenwert haben, Respekt, Anerkennung und konstruktives Feedback erhalten, eine starke soziale Einbindung in der Gruppe spüren, am guten Informationsfluss partizipieren, als Unternehmer im Unternehmen Initiativen ergreifen bzw. (pro-)agieren dürfen und nicht zuletzt Zukunftsperspektiven erhalten und auch mitgestalten, reduziert die innerbetriebliche Fehlzeitenstatistik aus Überzeugung. Vielleicht lässt sich eine solche Einstellung der Führungskräfte auch über ein intensiveres Führungstraining erreichen: Für die Sozialkompetenz sollten geeignete Schulungen nicht erst eingesetzt werden, wenn es bereits zu spät ist, und hierbei lohnt es sich wirklich, die Rückkehrgespräche nur als ein Teil der gesamten Konzeption in Umgang mit Fehlzeiten zu betrachten.
Vielleicht war schon die ein oder andere anregende Idee enthalten, die Ihnen weiterhilft.
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